Der Abwurf der Atombombe liegt nun 75 Jahre zurück und das Grauen, das sie brachte, ist zu einer Tragödie der Vergangenheit geworden und die Erinnerung daran verblasst sichtlich. 

Die Darstellung der Atombombe bedeutet auch die Darstellung des Unsichtbaren und des Undenkbaren. Radioaktivität ist unsichtbar, sie kann nicht gerochen, gefühlt oder geschmeckt werden. Daraus ergibt sich die Schwierigkeit der Darstellung. Dennoch besteht der Wunsch der Zeitzeugen das Unsichtbare sichtbar zu machen, denn gerade in der versuchten Visualisierung von als unsichtbar erachteten Ereignissen lässt sich die kulturelle Bedeutung ableiten.

Das Trauma der Kriegserinnerung

Das Leitmotiv der japanischen Kriegserinnerung sind die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki. Bilder und andere Überlieferungen eröffnen einen Raum der Erfahrbarkeit, die vor allem der Verständigung darüber dient, was Krieg bedeutet. Die Zeitzeugenberichte sind dabei ein unverzichtbares Instrument, um die Vergangenheit glaubwürdig und erfahrbar an die Nachkriegsgeneration zu vermitteln. Das Hauptaugenmerk der Erinnerungsaufarbeitung widmete sich nicht der Frage, wer schuld oder verantwortlich sei, sondern Hiroshima und Nagasaki sollten als moralische Lehrstücke für die Friedenserziehung dienen und inszenierten sich so als internationale Mahnmäler für den Frieden.

Entstehungsgeschichte des Bildbandes

Die Entstehung dieser Sammlung von Bildern begann 1974, als ein Zeitzeuge das Büro des Japan Broadcasting Corporation (NHK) besuchte, um dort ein Bild abzugeben, welches er selbst gezeichnet hatte. Dies führte dazu, dass NHK anfing, hunderte solcher Bilder und Zeichnungen zu sammeln, um 1975 eine Ausstellung in Hiroshima zu veranstalten. Die Bilder in diesem Bildband sind einige wenige Exemplare aus dieser Sammlung, etwa 104 aus einer Kollektion von 975. Eine ausdrückliche Bitte der Hibakusha (Atombombenopfer) war, dass diese Bilder nicht nach ihrem künstlerischen Wert beurteilt werden. Sie sollten zeigen was an jenem Tag im August wirklich geschah.

Auszüge

Höllenfeuer

Hier ist das Feuer zu sehen, welches sich aus dem Epizentrum heraus ausbreitete und natürlich die Opfer, die sich nicht mehr retten konnten. Das Feuer wird mit einer großzügigen roten Fläche dargestellt. In fast allen Zeichnungen werden die Toten nackt und entweder rot oder kohlschwarz dargestellt.

Wasser

Nicht nur Feuer, sondern auch Wasser sind die Leitmotive in den meisten Zeichnungen. Die meisten Bilder zeigen, wie Menschen vor dem Feuer flohen und sich in den Fluss stürzten. Dies führte dazu, dass die Flüsse übersät waren mit Leichen. Das Schuldgefühl der Überlebenden zeichnet sich deutlich in den Abbildungen ab. Die verletzten Menschen riefen nach Wasser in ihren letzten Momenten und da die Menschen angewiesen wurden, den Verletzten kein Wasser zu geben, blieb diese letzte Bitte unerfüllt als sie starben. Die Schuld bezieht sich hier darauf, dass sie einem Sterbenden in seinen letzten Augenblicken keinen Trost spenden konnten. Andere Zeichnungen der Hibakusha zeigten den schwarzen Regen, der über Hiroshima fiel. Obwohl das Wetter klar und gut war an dem Tag als die Bombe fiel, veränderte die Explosion die Atmosphäre und kurz darauf fielen schwarze Regentropfen vom Himmel. In den Bildern sieht man wie Überlebende gen Himmel blicken, ihre Münder öffnen, um den Regen zu trinken. Dieser radioaktive Regen und die Tatsache, dass die Menschen der radioaktiven Strahlung der Atombombe ausgesetzt waren, führte leider vermehrt dazu, dass Überlebende einige Tage später Symptome der Strahlenkrankheit zeigten.

Geister

Eine andere Gemeinsamkeit in vielen Bildern ist die Darstellung der Opfer, die so starke Verbrennungen erlitten, dass die Haut sich von ihren Armen und Händen löste. Damit das entblößte Fleisch nicht am eigenen Körper klebte und noch mehr schmerzte, streckten sie die Arme nach vorne aus. Die Haut hing an ihren Händen hinunter und war nur noch an den Fingernägeln befestigt. Dieser Anblick wurde mit den von Geistern gleichgesetzt. Dies wurde letztendlich zum Stereotyp der Untoten oder umgangssprachlich auch Zombies genannt.

Verzweiflung

Ein weiteres Merkmal in vielen Zeichnungen ist die Darstellung von Mutter und Kind. Mutter und Kind stellen in den meisten Kulturen die Verkörperung von Liebe dar und dies zeigt, wie diese Vorstellung oder diese Darstellung eines Ideals durch den Angriff zunichtegemacht wurde.

Auf den Abbildern ist vermehrt zu sehen, wie Mütter ihre toten Kinder tragen, wie Kinder an der Brust der verstorbenen oder verletzten Mutter saugen oder die verkohlten Leichen von Mutter und Kind. Oft werden sie nackt dargestellt und die Mutter ist über ihrem Kind positioniert. Eine letzte verzweifelte Geste, um das Kind zu schützen.

Die Relevanz der Erinnerungskultur an die Atombombe heute – Ein Ausblick

Der Wunsch der Hibakusha, mit ihren Bildern ein Zeichen zu setzen gegen die Bedrohung aller Menschen durch Krieg und Atomwaffen, kristallisiert sich durch die Zeichnungen heraus. Die Nachkriegsgeneration soll das Ausmaß der Atombombe und des Krieges verstehen, damit sichergestellt werden kann, dass auch künftige Generationen sich für den Frieden einsetzen. Die Zeitzeugen bemühen sich, dass ihre Erfahrungen an die Welt vermittelt werden, um so den Gebrauch von nuklearen Waffen in der Welt zu verhindern. Mit ihrer Kernaussage „Not retaliation, but reconciliation“ schaffen sie eine neue Sicht einer Erinnerungskultur, die nationale, kulturelle und soziale Grenzen überschreitet und somit können die Erinnerungen mit der ganzen Menschheit geteilt werden. Sinn dieser Veröffentlichungen ist es nicht, ein weiteres Bild des Grauens zu liefern, welches nach dem Ansehen und Erschaudern wieder zur Seite gelegt wird. Es soll vielmehr klargemacht werden, dass eindeutig politischer Wille zum Hiroshima von 1945 geführt hat und auch heute, in der Gegenwart, zu neuen Hiroshimas führen kann.

We must convey our experience and make efforts to build true peace, so that such atrocities will not happen again. This is the responsibility for us, the survivors in Hiroshima. 

Miyamoto: Beyond the Mushroom Cloud: Commemoration, Religion, and Responsibility after Hiroshima. S. 30

Quellen

Assmann (2006). Der lange Schatten der Vergangenheit. C.H. Beck

Buchholz; Hijiya-Kirschnereit (2003): Schreiben und Erinnern. Iudicium

Coulmas (2005): Hiroshima. C.H. Beck

Decamous (2018): Invisible Colors. The MIT Press

Kanda (Hg.) (1985): Der Blitz über dem Reisfeld. dtv

Miyamoto (2012): Beyond the Mushroom Cloud. Fordham University Press

NHK (Hg.) (1977): Unforgettable Fire. Pantheon Books

Publishing Committee (Hg.) (1981): Hiroshima-Nagasaki.

Tashiro (1983): Hiroshima Menschen nach dem Atomkrieg. dtv

The Pacific War Research Society (Hg.) (1981): The Day Man Lost, Kodansha International

Vinke (Hg.) (1998): Als die erste Atombombe fiel. Ravensburger Buchverlag

Walker (2005): Hiroshima Countdown einer Katastrophe. C. Bertelsmann